Openreli2014 läuft. Im Eröffnungshangout waren ca. 20% der angemeldeten openreli’er dabei, und von denen interessierten sich ca. 50% für das Digitale Religionsbuch – dies ist mit Abstand das interessanteste Thema – jedenfalls laut Umfrage.
Das Digitale Religionsbuch (DR) stand von Anfang an auf der Agenda von openreli2014, denn seine Entwicklung war das greifbarste Kursergebnis von openreli2013. Am Ende des MOOCs gab es eine tiefgreifende, theoretische Diskussion darum, wie kompetenzorientierte Einheiten im DR gefeatured werden sollten. Nur: irgendwie ebbte die Begeisterung – und die Diskussion nach dem Ende von openreli2013 schnell ab – und dann kam für lange Zeit fast nichts mehr.
Stattdessen tauchte plötzlich relipuls wie ein Stern am Himmel des Orients auf, dem die Weisen bekanntlich folgen. Relipuls liefert auf der Basis aktueller Pressemeldungen oder aktueller Ideen der Redakteure Impulse – man könnte auch sagen: Anforderungssituationen, die hervorragend als Einstieg zu bestimmten Unterrichtssequenzen geeignet sind -, dazu ein paar Vorschläge zur Weiterarbeit, ganz ähnlich wie es auch der religionspädagogische Blog aus Thüringen und Sachsen Anhalt, web.competent, tut. Was fehlt, ist die Reflexion, die überaus knifflige, kompetenzorientierte Weiterentwicklung solcher Anfangsknaller – also die Überlegung: Wo soll das alles enden? Welche Kompentenzen sollen die Schülerinnen und Schüler erwerben, welche Wege sollen sie bis dorthin zurücklegen und welche Mittel dabei einsetzen?
Mir stellt sich die Sache so dar: Zu Beginn von openreli2014 haben wir zwei Spatzen in der Hand und eine Taube auf dem Dach:
Die Spatzen in der Hand
sind gut einsetzbar. Schüler springen darauf an. Es gibt Diskussionsstoff – aber reicht das für mehr als für eine Vertretungsstunde? Wenn ja, dann muss die Lehrkraft aus eigener Kraft weiterarbeiten, muss auswerten, wie die SchülerInnen auf den Anfangsimpuls reagierten, feststellen, welches Vorwissen vorhanden ist und welche Einstellungen. Auf dieser Wissensbasis kann die Lehrkraft die noch fehlenden von den schon vorhandenen Kompetenzen unterscheiden und die Weichen für den weiteren Unterricht stellen. Das ist wunderbar kompetenzorientiert, aber ganz schön aufwändig.
Die Taube auf dem Dach
Wie schön wäre es darum, wenn es ein Buch gäbe, das mir den ganzen Aufwand ersparte! Ein Buch, das mich Lehrkraft mit sicherem Schritt durch die tückischen Fährnisse der Kompetenzorientierung leitet, das zur rechten Zeit die richtige Methode und das passende Material liefert, so dass ein offener, schülerbezogener Unterricht quasi aus der Retorte hervorgezaubert werden kann.
Ach, das wäre schön.
Aber je länger ich die Entwicklung des DR (durchaus wohlwollend) beobachte und begleite: Ich fürchte, so wird das nichts.
Meine Begründung:
Im Gegensatz zu professionellen, bezahlten Religionsbuch-Entwicklern kann das Häuflein von OER-Produzenten nicht die Zeit und die Mühe aufbrignen, richtig große, dazu differenzierte und offene Konzepte zu entwickeln. Auch in der vierzehntägigen openreli-Produktionsphase werden wohl eher kleine Brötchen gebacken werden. Meistens ist es eine Idee, die didaktisch, auch kompetenzorientiert, umgesetzt wird. Heraus kommen nicht die großen Würfe, sondern die kleinen Bits.
Vielleicht sollte man sich damit zufrieden geben. Denn kompetenzorientierter Unterricht ist schon von seiner Natur her in höchstem Maße flexibel und differenziert anzulegen: Im Fach Religion lässt sich der Verlauf einer solchen Unterrichtseinheit gar nicht wirklich vorhersehen, was auch meistens dazu führt, dass die Religionslehrkräfte irgendwann vom Stoff der (bisher noch papierenen) Religionsbücher abweichen und zu selbst gewählten oder erzeugten Materialien bzw Methoden greifen.
Vielleicht sollten wir uns auf diese Bits konzentrieren, wenn wir im Rahmen von openreli am DR weiterwerkeln. Gut wäre es allerdings, wenn wir unsere Bits mit Anschlussmöglichkeiten versehen, also angeben, in welchen Zusammenhängen sie eingesetzt werden können. Vielleicht kommt ja eines Tages ein echter Pipeliner, der die Bits genial zu kompetenzorientierten Lernprozess-Stützen zusammensteckt.
Das Angeben der Anschlussmöglichkeiten ist auch nützlich für die Auffindbarkeit der Materialien. Denn was in relipuls und in web.competent veröffentlicht wird, landet auch im rpi-virtuell Materialpool und ist dort trefflich verschlagwortet. Dieser Materialpool, ein gigantisch starkes Werkzeug, hat zZ den Nachteil, nicht „responsive“, also für mobile Geräte anpassbar zu sein. Ich finde, ein DR muss unbedingt eine responsive Zugriffsmöglichkeit auf den Materialpool enthalten, ebenso wie jedes gute Religionsbuch einen thematischen und lexikaischen Index enthält.
Ich komme zum Schluss:
- Es ist schön, wenn das DR intensive Reflexionen, Tipps und fortlaufende Diskussionen über guten, komptenzorientierten Religionsunterricht enthält.
- Neben diesen Reflexionen sollten im digitalen Religionsbuch all die vielen Entwürfe, Impulse und Ideen gesammelt werden, die schon im Umlauf sind, selbst wenn diese keine kompletten Unterrichtseinheiten darstellen.
- Ganz wichtig scheint mir eine exzellente Nachschlagefunktion zu sein: Wer das DR benutzen will, fragt entweder nach einer Kompetzenz oder einem Thema, einer Bibelstelle oder einer zu behandelnden Person: Da muss die Suchfunktion differenzierte Antworten liefern.
Kurzum: Wenn das DR in openreli2014 wirklich die Rolle spielen soll, die es in den Augen der Teilnehmgebenden derzeit besitzt, dann sollten wir den Griff zu den Spatzen in der Hand, zu den kleinen Brötchen wagen und das Buch endlich mit Inhalten auffüllen.