Individuelle und kollektive Buße

Richard von Weizsäcker

Ist kollektive Buße überhaupt möglich? Kann ein Kollektiv Schuld empfinden, kann es “umkehren”?

In seiner berühmten Rede zum 40. Jahrestages des Endes des 2. Weltkrieges am 8.5.85 bestritt der damalige Bundespräsident Richard v.Weizsäcker dies. Er sagte (im Hinblick auf die deutsche Schuld am Krieg):

Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht. Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich.

Es gibt entdeckte und verborgen gebliebene Schuld von Menschen. Es gibt Schuld, die sich Menschen eingestanden oder abgeleugnet haben. Jeder, der die Zeit mit vollem Bewußtsein erlebt hat, frage sich heute im stillen selbst nach seiner Verstrickung.

Der ganz überwiegende Teil unserer heutigen Bevölkerung war zur damaligen Zeit entweder im Kindesalter oder noch gar nicht geboren. Sie können nicht eine eigene Schuld bekennen für Taten, die sie gar nicht begangen haben.

Kein fühlender Mensch erwartet von ihnen, ein Büßerhemd zu tragen, nur weil sie Deutsche sind. Aber die Vorfahren haben ihnen eine schwere Erbschaft hinterlassen.

Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen.

Selbst wenn es keine individuelle Schuld an einem bestimmten Ereignis gibt (?), gibt es eine kollektive Verantwortung. Vor allem kann man aus dem Vergangenen lernen und das eigene Leben und Handeln immer wieder hinterfragen.

  • Im Buch des Propheten Jona (Kapitel 3 und 4) ordnet der König von Ninive eine allgemeine, kollektive Buße für seine Stadt an. Dann heißt es in Vers 10: Und Gott sah ihr Verhalten; er sah, dass sie umkehrten und sich von ihren bösen Taten abwandten. Da reute Gott das Unheil, das er ihnen angedroht hatte, und er führte die Drohung nicht aus.
    Wird hier eine verordnete (dh. unfreiwillige) Buße eines Kollektivs göttlich sanktioniert? Verträgt sich diese Anerkennung einer Kollektiv-Buße mit der Prophetie aus Ezechiel 18?
  • Vergleichen Sie Weizsäckers Position mit denen der oben erwähnten biblischen Quellen.  Würden Sie eine kollektive Buße an Ihrer Schule/Institution in bestimmten Situationen befürworten?
    Halten Sie Ihre Meinung fest – zB mit memopad oder mit evernote.
    Oder diskutieren Sie sie mit anderen in der offenen google+ Gruppe “Was ist Buße“.

In verschiedenen Relgionen und Traditionen gibt es dazu bestimmte Bußfeste/Gedenktage, zB:

Der Jom Kippur (jüdisches Versöhnungsfest)

In der Synagoge am Jom Kippur

Der “Tag der Bedeckung” (der Sünde) ist der wichtigste Feiertag im Judentum. Am 10. Tag nach dem jüdischen Neujahrsfest erreicht die Buß- und Fastenzeit des Volkes ihren Höhepunkt. An diesem Tag geht gar nichts außer menschlicher Reue und göttlicher Versöhnung. Allerdings werden nur diejenigen versöhnt, die die von ihnen geschädigten Personen um Verzeihung gebeten haben. Das Volk bekennt: “Denn wir sind nicht frechen Angesichtes und hartnäckig, vor dir zu sagen, wir seien Gerechte und hätten nicht gesündigt, in Wahrheit haben wir gesündigt.” Verboten ist an diesem Tag: Essen, Trinken, Arbeit, Sex, Körperpflege, Reisen,  Baden – ganz Israel steht still. Alle Schwüre und Gelübde, alle Verfluchungen werden am Jom Kippur aufgehoben und sind ungültig. Dennoch ist es kein Trauertag: Denn Gott versöhnt sich mit den Menschen.

httpvh://www.youtube.com/watch?v=rfkZhdbgy1g

Aschermittwoch

Das Aschenkreuz vom Aschermittwochsgottesdienst

“Am Aschermittwoch ist alles vorbei”, heißt es in einem bekannten Lied. Denn mit dem Aschermittwoch beginnt eine 40-tägige Zeit der Tauferinnerung, des Fastens, der Buße, der Vorbereitung auf Ostern, das Fest der Auferstehung Jesu.

Mehr zum Aschermittwoch erfahren Sie im Artikel “Passionszeit” des Ökumenischen Heiligenlexikons.

Gedenktag der Reichspogromnacht

Briefmarke von 1988 zur Reichspogromnacht

Seit dem Ende der siebziger Jahre hat sich in vielen Städten, in denen früher Synagogen standen, und auf Bundesebene der 9. November als Jahres- und Gedenktag der Reichspogromnacht (früher: Reichskristallnacht) eingebürgert. Viele Menschen empfinden dieses Gedenken als “amtlich verordnet” oder gar als nervig. Dass es sich dabei jedoch immer noch um ein heißes Eisen handelt, zeigen die immer wieder auftretenden Zwischenfälle.

Die Veranstalter der Gedenkfeiern betonen, dass gerade der große zeitliche Abstand zu den begangenen Verbrechen an den Juden die Veranstaltungen erforderlich mache: Das Geschehene dürfe nicht in Vergessenheit geraten.

Während der 9.11. von kirchlicher Seite auch als Tag der Buße und Umkehr angesehen wird, betonen andere Verlautbarungen, dass es bei dem Gedenktag gerade nicht um Schuld gehe – die Adressaten waren an den Ereignissen 1938 nicht beteiligt gewesen -, sondern um die Übernahme von Verantwortung für die Zukunft, um eine Wiederholung des Geschehenen zu verhindern.

  • Informieren Sie sich über die drei oben dargestellten Gedenk-/Bußtage (mit Hilfe der angegebenen Links und darüber hinaus). Bewerten Sie die Feiertage im Hinblick auf ihren (positiven?) Effekt auf die beteiligten Menschen.
  • Macht ein (kollektiver) Buß- oder Gedenktag Sinn? Hilft er, Buße zu tun?
    Halten Sie Ihre Meinung fest – zB mit memopad oder mit evernote.
    Oder diskutieren Sie sie mit anderen in der offenen google+ Gruppe “Was ist Buße“.

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