Wer ist Charlie?

Es ist logisch, dass auf ein abscheuliches Attentat gegen ein Satire- und Karikaturenmagazin mit durchgehend religionskritischem und teilweise religionsverhöhnenden Inhalten per Schlagzeile und Karikatur reagiert wird.

So ging eine eigentümliche Identifikation durchs Netz und alle Medien, ohne dass mir einer erklärt hätte, was dieser Satz genau bedeutet:

Die SPIEGEL-Redaktion ist Charlie

Ein bischen gleicht er der kryptischen Paulus-Maxime: „Wir sind alle in Christus“, wobei sich religionskritische Menschen (oder auch nur vernünftige) natürlich sofort fragen, wie das gehen soll.

So bietet „Je suis Charlie“ unterschiedliche Bedeutungsmöglichkeiten und Solidarisierungsgrade, zB

  • Ich trauere mit den Opfern der beiden Anschläge und bete für sie.
  • Ich bin von dem (ersten) Anschlag mitbetroffen, denn er richtet sich gegen die Pressefreiheit, eines der wichtigsten Rechte der modernen Welt.
  • Ich bin solidarisch mit allen unschuldigen Opfern des Terrorismus, besonders in Europa.
  • Ich mache auch Karikaturen, auch gern mit spitzen Bleistift und bin im Grunde wie Charlie Hebdo
  • Ich finde Religionen sch****e und finde, man sollte den deutschen Blasphemieparagraphen kippen, schon wegen Charlie Hebdo.

Usf.

Dann gab es aber eine Reihe von Leuten, die sich von Charlie Hebdo wirklich in ihren Gefühlen, ihrer Würde verletzt sahen, und die wollten nicht Charlie sein, sondern Ahmed:

i am not charlie

Und an dem Punkt wird für mich die Sache extrem religionspädagogisch, weil sich mir die Frage stellt: Wie weit darf Blasphemie gehen? Wäre es wirklich so eine Gute Idee, den deutschen Blasphemieparagraphen zu kippen?

Schließlich formierte sich auf Twitter eine „I am not Charlie“-Bewegung.

Unter diesem Motto sammelten sich die unterschiedlichsten Leute: Muslime natürlich, aber auch andere, die sich mit den, wie von vielen vorgewurfen wurde, rassistischen Karikaturen bei Charlie Hebdo nicht identifizieren wollten. Vielleicht hätte die CDU-Politikerin Erika Steinbach dies einfach retweeten sollen, statt sich mit einer eigenen Twitternachricht eine Anzeige eines Titanic-Chefredakteurs wegen „Verunglimpfung Verstorbener“ einzufangen.

Für Juden und Muslime entstand/entsteht eine besonders prekäre Situation.

Für die Juden, weil auch sie einerseits eine Zielscheibe für Charlie Hebdo abgaben bzw abgeben, weil sie jedoch andererseits von manchen „Je ne suis pas Charlie“-Muslimen fälschlicherweise als „vom Westen vor bissigen Karikaturen geschützt“ erklärt wurden, Besonders in Frankreich schlägt ihnen ein Hass entgegen, wie es ihn seit der Dreyfuss-Affäre nicht mehr gab.

Für die Muslime: Das macht am besten die folgende Karikatur deutlich:

Link zum Tweet ...
Muslime unter Kondolenzdruck 

Bin ich nun Charlie oder nicht?

Ich werde mal drüber schlafen. Sicher ist für mich nur eins:

So sieht Religion nicht aus.

 

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