Da dieser von mir geführte Blog ab 2015 eingestellt wird, übernehme ich ihn und einige andere eher häufig nachgefragte Texte in diesen, quicklebendigen Blog.
Da bei den vielen Vor- und Rückwärtsreformen des Kultusministeriums eine Menge Begriffe eine zuweilen verwirrende Rolle spielen, möchte ich hier – als Hilfe oder als Diskussionsgrundlage – einige zentrale Worte wörterbuchmäßig erläutern:
Lernziel
Ein von der Lehrkraft gesetztes Ziel, das die Schüler der Lerngruppe an Ende einer Stunde/Unterrichtseinheit wissen oder können sollten.
Beispiel A:
Die SchülerInnen sollten wissen, was ein Sadduzäer ist.
Beispiel B:
Die Schüler sollten das Vaterunser aufsagen können.
(Anmerkung: lch verwende in diesem Zusammenhang den Plural bei Zielen / Kompetenzen / Könnensprofilen, die von einer kompletten Lerngruppe erworben bzw. gekonnt werden sollen, während ich in der Einzahl formuliere, wenn nur einzelne Schüler aus der Lerngruppe bestimmte Kompetenzen erwerben müssen)
Operationalisierbares Lernziel
Ein von der Lehrkraft gesetztes Lernziel, das von den Schülern in irgendeiner Weise praktisch um- oder eingesetzt werden kann. Es geht also nicht um ein bloßes Wissen, sondern um ein Können.
Beispiel B (oben, unter Lernziel) ist ein operationalisierbares Lernziel, Beispiel A nicht.
Kompetenz
Eine Kompetenz beschreibt eine von einem Schüler erworbene Fähigkeit (oder ein Wissen), die ihm in bestimmten Lebens- bzw. Anforderungssituationen weiterhilft bzw nützlich ist.
Da sich jeder Mensch hinsichtlich seiner Könnens- bzw Wissenvoraussetzungen und hinsichtlich der sich ihm stellenden Anforderungen von den anderen unterscheidet, müssen Schülerkompetenzen individuell differenziert (und im Verbalbeurteilungs-Zeugnis entsprechend berücksichtigt) werden.
Da die Lehrkraft nicht im Voraus beurteilen kann, welche Kompetenzen welcher Schüler erwerben muss, ist zu Beginn einer Unterrichtseinheit eine Evaluationsphase erforderlich, in der diese Fragen geklärt werden:
- Durch welche Lebenssituation wird die betreffende Kompetenz überhaupt erforderlich?
- Was ist bei dem Schüler von dieser Kompetenz schon angebahnt?
- Welcher Aspekt dieser Kompetenz erregt das Interesse des Schülers?
Kurzum: Kompetenzen kann man den SchülerInnen nicht einfach (wie Lernziele) vorsetzen.
Beispiel A:
Der Schüler sollten das Vaterunser betend aufsagen und mit eigenen Worten erklären können, wie er das Gebet versteht.
Da der Schüler – als Christ – immer mal wieder in die Lage kommt, dass er das Gebet (im Gottesdienst oder auch anderswo) sprechen muss, sind Anforderungssituationen gegeben. Allerdings macht das Aufsagen nur Sinn, wenn der Schüler auch eine Vorstellung davon hat, was ein Gebet ist und was er mit diesem Gebet ausdrückt.
Beispiel B:
Der Schüler soll wissen, was ein Sadduzäer ist.
Für manche kirchlich sozialisierte Kinder könnte die Bedeutung des Begriffs einmal wichtig werden. Das Wissen um Sadduzäer würde sie also kompetenter machen. Für andere, eher kirchenferne Kinder geht dieses Wissen jedoch an der Lebenswirklichkeit vorbei.
Als Lehrperson mag man darüber klagen, dass diese letztere Gruppe von Schülern die Bedeutung des Begriffs schnell wieder vergißt. Trotzdem sollte man das nicht negativ bewerten, denn die Kinder werfen eigentlich nur einen für sie unnützen Wissensballast ab.
Könnensprofil
In einem Könnensprofil wird formuliert, was ein Schüler am Ende einer Unterrichtseinheit können muss.
Da Könnensprofile im Allgemeinen vorgegeben sind, unterscheiden sie sich von Kompetenzen. Der Vorteil: Vorgegebene Könnensprofile bilden eine gute Grundlage für Elterngespräche und bilden (verglichen mit Kompetenzen) eine recht griffige Basis für die Beurteilung der Leistungen des Schülers.
In Zeugnisvorlagen mit Feldern für Verbalbeurteilungen wird auch auf der Basis von Könnensprofilen eine individuelle Beurteilung möglich. Solche Zeugnisbeurteilungen fallen jedoch notwendig schablonenhafter aus als die freie Formulierung von Kompetenzen und werden der Individualität des Schülers und seiner speziellen Anforderungen weniger gerecht.
Beispiel A:
Der Schüler sollte das Vaterunser betend aufsagen können.
Beispiel B:
Der Schüler sollte wissen, was ein Sadduzäer ist …
… ist kein Könnensprofil, weil darin kein Können des Schülers ausgedrückt ist. Sobald der Schüler jedoch erklären kann, was ein Sadduzäer ist, wird es eins.
Klassenstufeneinheitlich standardisiertes Könnensprofil
Beispiel:
Die SchülerInnen sollten das Vaterunser betend aufsagen können …
… ist kein klassenstufeneinheitlich standardisiertes Könnensprofil, weil viel zu speziell. In den Jahreszeugnissen der Klassenstufen 3 und 4, in denen diese Art der Könnensprofile benötigt werden, muss man in wenigen Sätzen alles zusammenfassen, was der Teilrahmenplan an zu erwerbenden Kompetenzen vorgegeben hat.
Beispiele für klassenstufeneinheitlich standardisierte Könnensprofile finden Sie hier.
Während reine Könnensprofile je nach SchülerIn individuell zusammengemischt werden können und eine einigermaßen differenzierte Beurteilung ermöglichen, wird bei den “klassenstufeneinheitlich standardisierten Könnensprofilen” an die gesamte Klassenstufe derselbe Maßstab angelegt.
M.a.W.: Durch die Vereinheitlichung der Könnensprofile werden aus zu erwerbenden individuellen Schüler-Fähigkeiten operationalisierbare Lernziele.
Damit ist die Kompetenzorientierung aus dem Teilrahmenplan im Grunde genommen vom Tisch. Wir sind mit den “klassenstufeneinheitlich standardisierten Könnensprofilen” zur Lernzielorientierung zurückgekehrt – allerdings zu einer besonders üblen Form, da diese Lernziele als zu erwerbendes Können sogar im Zeugnis festgehalten werden – und zwar (aufgrund des Platzmangels) in einer arg verdichteten Form. So reduziert sich das, was im Religionsunterricht gelernt werden soll, auf wenige Sätzchen.
So werden das die Eltern der Schüler verstehen, und sie werden einfordern, dass sich die Zeugnisnote genau nach der Lage der Kreuzchen (von “das kannst du sehr gut” bis “das mußt du noch lernen”) richtet. Damit werden den Lehrkräften alle Möglichkeiten genommen, bei der Bewertung zu klippern oder über Epochalnoten zu differenzieren. Die Lehrkräfte werden auf diese Weise entweder bittere Tränen bei der Zeugnisvergabe in Kauf nehmen oder beim Kreuzchenmachen schummeln müssen, um sie zu verhindern.